Hvide Sande in Dänemark

  • Search08.08.2023

Wie Windräder einen Ferienort gerettet haben

Im dänischen Urlaubsort Hvide Sande stehen drei Windräder am Strand. Protest dagegen gibt es nicht – weil die Anwohner einbezogen wurden. EnergieWinde hat das Projekt mit Vorbildcharakter besucht.

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    Drei Windräder stehen am Strand von Hvide Sande in Dänemark. Mit ihren Einnahmen wird der örtliche Hafen finanziert. Foto: Volker Kühn

    Hvide Sande lebt vom Tourismus und seinem Hafen. Als dem das Geld ausgeht, bauen die Bürger einen Windpark.

     

    Von Heimo Fischer, Hvide Sande

    Drei Windräder stehen am Strand von Hvide Sande. Das Rauschen ihrer Rotoren mischt sich mit dem der Wellen. Wenige Hundert Meter weiter bewachen zwei Angler ihre Ruten, eine Familie stapft barfuß durchs Wasser und eine Spaziergängerin sammelt Muscheln. Immer wieder blickt sie versonnen zum Horizont. Die Windräder stören hier offensichtlich niemanden. Dabei sind sie ziemlich groß. Drei Megawatt Leistung bringt jedes von ihnen, rechnerisch reicht das für rund 5000 Haushalte.

    Der Strand des westdänischen Fischerorts ist ein idealer Platz, um Windstrom zu erzeugen. Und trotzdem ist es erstaunlich, dass die Turbinen hier stehen. Denn auf der schmalen Landzunge des Ringkøbing Fjords ducken sich Tausende von Ferienhäusern in die sanften Dünen. Vor allem Norddeutsche verbringen hier ihren Sommerurlaub, und selbst im Winter genießen viele die Abgeschiedenheit. Der Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor, der viele Menschen in der Region ernährt. Windräder sind in solchen Regionen eher unbeliebt.

    Der Hafenchef als Windkraftpionier: Steen Davidsen macht das Projekt populär

    Dass niemand gegen den Bau der Turbinen protestiert hat, ist nicht zuletzt Steen Davidsen zu verdanken. Der drahtige Mann mit dem grauen Haar gehörte zum Gründungsteam des kleinen Windparks und hat mit dafür gesorgt, dass die Bevölkerung hinter dem Vorhaben steht. Heute ist er Rentner, doch bis 2021 war er Chef des Hafens von Hvide Sande. Im Verwaltungsgebäude, wo EnergieWinde ihn zum Gespräch trifft, kennt er sich noch gut aus. Wenn er dort vorbeischaut, schüttelt er Hände und plaudert mit den Angestellten.

    Luftbild des Strands von Hvide Sande mitsamt den Windrädern, deren Erlöse die Zukunft des örtlichen Hafens gesichert haben.

    Strand von Hvide Sande: Mit den Einnahmen aus den Windrädern wurde die Zufahrt des Hafens ausgebaggert.

    Als Davidsen den Job vor mehr als zehn Jahren übernahm, war er wohl nicht so gelassen. Denn damals warteten große Herausforderungen auf ihn. In den Hafen, gebaut in den Dreißigerjahren, konnten keine großen Schiffe einfahren. Mit drei Metern Tiefe war er zu flach. Die wirtschaftliche Zukunft des Orts hängt jedoch auch am Hafen. Eine Werft hat sich hier angesiedelt, nicht unweit davon eine Fischräucherei und natürlich jede Menge Betriebe, die Netze und Ausrüstung der Fischerboote instand halten. Der Hafen ist außerdem eine touristische Attraktion. An verregneten Tagen schauen Urlauber den Booten zu und kehren in den Cafés und Restaurants ein. Davidsen ist überzeugt: „Ohne Hafen kann Hvide Sande nicht existieren.“

    Dem Hafen fehlt das Geld. Mit der Windkraft bietet sich eine Chance

    Um den Hafen für die Zukunft zu erhalten, waren gewaltige Investitionen nötig. Moderne Schiffe brauchen hier eine Wassertiefe von sieben Metern. Außerdem mussten die Molen verstärkt werden, um den Hafen gegen Unwetter zu schützen. Ausgaben von umgerechnet neun Millionen Euro hätte der Hafen dafür aus eigenen Mitteln stemmen müssen. Aber wie sollte das gehen bei einem Umsatz von gerade mal 1,3 Millionen Euro pro Jahr?

    Steen Davidsen hat in seiner Zeit als Chef des Hafens von Hvide Sande dessen Zukunft gesichert, in dem er einen Windpark gebaut hat.

    „Ohne Hafen kann Hvide Sande nicht existieren“, sagt Steen Davidsen.

    In dem Ort mit seinen knapp 3000 Einwohnern machten sie sich Gedanken. Nicht nur in der Hafenverwaltung, sondern auch beim Tourismusverband. „Unsere Chance kam mit den Plänen für den Windkraftausbau in Hvide Sande“, erzählt Davidsen. Ausgewiesen war ein Areal direkt am Strand, das dem Hafen gehörte. Was also wäre, wenn der Hafen die Flächen an einen Windkraftbetreiber verpachten würde? Schätzungsweise 640.000 Euro Einnahmen würden so jedes Jahr in die Kassen fließen. Davon könnten schrittweise die Investitionen finanziert werden – der Hafen bliebe erhalten.

    Auch in Dänemark gibt es Protest gegen Windräder – aber nicht in Hvide Sande

    Allerdings waren in der Vergangenheit schon öfter Windprojekte in der Gegend an den Protesten der Bevölkerung gescheitert. Für die Initiatoren stand fest, dass die Einwohnerschaft ins Boot geholt werden musste. „Deshalb haben wir ein besonderes Modell entwickelt“, sagt Davidsen. Der Tourismusverband von Hvide Sande gründete zusammen mit den lokalen Ablegern von Gewerkschaft, Industrieverband und kommunalen Versorgern einen Treuhandfonds, dem 80 Prozent des Windparks gehören sollten. Die Finanzierung übernahmen zwei Banken vor Ort. Die restlichen 20 Prozent der Anteile gingen an die Bevölkerung.

    Paraglider bei Hvide Sande: Die Stadt in Westdänemark setzt auf Windräder und Tourismus zugleich.

    Paraglider in Hvide Sande: Der Ort mit seinen breiten Stränden ist bei Urlaubern beliebt.

    Anteile erwerben durften alle, die höchstens 4,5 Kilometer von den Turbinen entfernt wohnen. Innerhalb von zwei Tagen waren die Anteile verkauft. „Wir hätten die dreifache Menge zeichnen lassen können“, sagt Davidsen.

    Die Turbinen lieferte Vestas, was die Menschen vor Ort ebenfalls gern sahen: Der dänische Hersteller und seine Subunternehmen sind wichtige Arbeitgeber in der Region. Seit März 2012 drehen sich nun die drei Windräder in Hvide Sande. Jedes von ihnen erzeugt im Schnitt etwa 16 Gigawattstunden Strom pro Jahr.

    Einige Eigner geraten in Schwierigkeiten. Der Fonds hilft ihnen aus der Klemme

    Die ersten Jahre warf der Windpark so viel Geld ab, dass sich die Investition für alle lohnte. Als jedoch staatliche Förderungen ausliefen und der Strompreis sank, drohten finanzielle Probleme für kleine Anteilseigner, die ihren Einstieg per Kredit finanziert hatten. Um sie nicht zu enttäuschen, schmiedeten die Angehörigen des Treuhandfonds einen neuen Plan und kauften ihnen die Anteile wieder ab.

    „Die Lösung erwies sich als sehr erfolgreich“, sagt Davidsen. Denn die drei Turbinen übernahm der kommunale Wärmeversorger Hvide Sande Fjernvarme. Das lokale Unternehmen war gerade dabei, seine Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen. Ein elektrisch betriebener Heizkessel wurde bereits mit Strom aus einer eigenen Fotovoltaikanlage betrieben. Nun sollten die drei Windräder zusätzliche Energie liefern. Eine elektrisch betriebene Wärmepumpe wird in den kommenden Jahren einen weiteren Teil der Wärmeversorgung von Hvide Sande übernehmen. Fossile Energieträger werden so überflüssig sein.

    Windräder am Strand von Hvide Sande in Dänemark: Die Anlagen sind weithin sichtbar – und allgemein akzeptiert. Foto: Volker Kühn

    Abendstimmung in Hvide Sande: Der Strom der drei Windräder heizt inzwischen das kommunale Wärmenetz.

    Der Hafen wird auch zukünftig von den Pachteinnahmen profitieren und den Ausbau vorantreiben. „Damit erschließen sich uns neue Möglichkeiten“, sagt Torben Lindberg Strømgaard, der für die Geschäftsentwicklung des Hafens verantwortlich ist. Denn viele Kilometer vor der Küste entstehen in den kommenden Jahren zahlreiche Offshore-Windparks. Die ersten Anlagen sind schon am Horizont zu sehen.

    Im Hafen von Hvide Sande sollen sich dann Firmen ansiedeln, die Dienstleistungen für die Betreiber anbieten. Mannschaftstransportschiffe könnten von hier aus starten. Und auch für die kleinen Fischerboote würde ein neues Geschäftsfeld entstehen, sagt Lindberg Strømgaard. „Sie können Ausflugsfahrten zu den Windparks im Meer anbieten.“

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