Gründerin Anna Alex

  • Search20.02.2024

„Wir machen die Natur businessrelevant“

Viele Firmen ignorieren eines der größten Geschäftsrisiken, sagt Anna Alex: den Zustand der Natur. Im Interview erklärt sie, wie ihr Start-up Nala Earth die Artenvielfalt schützt – und warum es mit „Beewashing“ nicht getan ist.

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    Anna Alex hat nach Outfittery und Planetly jetzt Nala Earth gegründet: Das Start-up unterstützt Unternehmen beim Schutz der Biodiversität.

     

    Anna Alex zählt zu den bekanntesten Köpfen der deutschen Gründerszene. Besonders am Herzen liegen ihr die Themen Klima- und Artenschutz. 2023 hat sie ihre jüngste Firma gegründet, Nala Earth. Das Start-up stellt eine Software zur Verfügung, die den Einfluss von Unternehmen auf die lokale Biodiversität misst. Hier beschreibt Alex, wie genau das funktioniert und warum Artenschutz im ureigensten Interesse von Unternehmen liegt. Wie in der Start-up-Szene üblich ist sie dabei sofort per Du.

    Anna, mit deiner Firma Planetly hast du Unternehmen geholfen, ihren CO2-Fußabdruck zu senken. Dein neues Start-up Nala Earth konzentriert sich auf Biodiversität. Was hat dich zu diesem thematischen Schwenk bewogen?
    Anna Alex: Zwei Dinge: Zum einen ist mir klar geworden, dass eine intakte Artenvielfalt die Grundlage für das Leben auf unserem Planeten ist. Unser gesamtes Dasein hängt davon ab, dass die Natur uns mit Dingen wie sauberer Luft, Wasser und Nahrung versorgt. Zum anderen habe ich festgestellt, dass diese unglaublich große Bedeutung funktionierender Ökosysteme in der Unternehmenswelt auf fatale Weise ausgeblendet wird. Das Artensterben ist die vielleicht am meisten unterschätzte Krise überhaupt. Es wird viel zu selten darüber gesprochen, auf welche gefährlichen Kipppunkte wir in der Natur zusteuern. Natürlich ist auch die Klimakrise dramatisch, und wir müssen sie unbedingt stoppen, aber ich glaube, wir leiden unter einer Art „Carbon Tunnel Vision“: Wir fokussieren uns allein auf den CO2-Ausstoß und übersehen all die anderen Krisen, die es daneben auch noch gibt – die Ressourcenknappheit, den Überkonsum, die globale Ungleichheit und das Artensterben, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Das ging auch mir lange so.

    Was hat deinen Blick erweitert?
    Anna Alex: Was mir die Augen geöffnet hat, war nicht zuletzt ein Podcast mit der Biodiversitätsexpertin Frauke Fischer. Sie sagt darin sinngemäß, dass unser Umgang mit der Klimakrise darüber entscheidet, wie warm es ist, wenn wir aussterben. Aber die Frage, ob wir die Artenkrise lösen, entscheidet darüber, ob wir überhaupt aussterben müssen.

    Anna Alex, Jahrgang 1984, hat in Freiburg und Paris Wirtschaft, Soziologie und Psychologie studiert. Sie begann ihre Karriere beim Start-up-Inkubator Rocket Internet, wo sie unter anderem an der Entwicklung von Zalando mitwirkte. 2012 war sie Co-Gründerin des Modeausstatters Outfittery. 2018 zog sie sich aus dem operativen Geschäft zurück und gründete im Jahr darauf mit Planetly eine Klimaschutzberatung für Unternehmen, die rasch auf mehr als 250 Mitarbeitende wuchs. 2021 verkauften die Gründer Planetly. 2023 gründete Anna Alex das Nature-Tech-Unternehmen Nala Earth.
    (Foto: Katja Henschel)

    Wo müssen wir ansetzen, wenn wir das Artensterben stoppen wollen?
    Anna Alex: Die entscheidenden Hebel halten wie immer die Unternehmen in der Hand. Natürlich können wir auch privat und im Kleinen etwas tun. Wir können zum Beispiel den Rasen seltener mähen oder Pflanzen säen, auf denen sich Insekten wohlfühlen. Aber einen wirklichen Unterschied können nur Unternehmen machen, weil ihr Einfluss auf den Zustand der Natur um ein Vielfaches größer ist. Sie müssen ihre Auswirkungen auf die Umwelt verstehen, und zwar nicht nur lokal an ihren eigenen Standorten, sondern auch in ihren Lieferketten. Das gilt insbesondere für ihre Zulieferer im globalen Süden, wo die Artenvielfalt noch viel größer ist als bei uns. Mit Nala Earth wollen wir Unternehmen helfen, die Natur zu bewahren.

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    Es wird sehr viel Investorengeld für Nature Tech geben und eine hohe Zahlungsbereitschaft von Unternehmen

    Anna Alex, Gründerin von Nala Earth

    Ihr seid aber keine wohltätige NGO, sondern wollt auch Geld verdienen. Gibt es in einer Zeit, in der Unternehmen mit so vielen anderen Krisen wie der Inflation und hohen Energiekosten kämpfen, ein Geschäftsmodell für Biodiversität?
    Anna Alex: Definitiv! Als wir damals mit Planetly begonnen haben, Unternehmen beim Klimaschutz zu unterstützen, gab es das Geschäftsfeld Climate Tech im Grunde noch gar nicht. Heute, nur ein paar Jahre später, fließen 25 Prozent des gesamten Venture Capitals von Investoren weltweit in Climate-Tech-Firmen. Das sind sagenhafte Summen, die innerhalb kürzester Zeit mobilisiert wurden. Und ich glaube, dass das Gleiche mit Nature Tech passieren wird, also mit dem Feld, das wir mit Nala Earth beackern. Es wird sehr viel Investorengeld für Nature Tech geben und eine hohe Zahlungsbereitschaft von Unternehmen.

    Was macht dich da so zuversichtlich?
    Anna Alex: Ganz einfach die Tatsache, dass Nature Tech für Unternehmen immer relevanter wird, schon durch die gesetzliche Regulierung: Mit der CSRD-Richtlinie sind alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden ab kommendem Jahr verpflichtet, ihre Auswirkungen auf die Natur zu erfassen und darüber zu berichten. Vielleicht ist der Anreiz für Unternehmen, sich für die Biodiversität zu engagieren, sogar höher als der Anreiz zum Klimaschutz.

    Warum?
    Anna Alex: Ein plakatives Beispiel: Wenn ich viel CO2 in die Luft blase, verschärft das natürlich den Klimawandel, aber auf eine sehr diffuse Art. Mein konkreter Einfluss etwa auf eine Dürre in Indien ist für mich wenig greifbar, insbesondere, wenn ich dort keine Zulieferer habe. Wenn mein Zulieferer aber in einer trockenen Region sitzt und viel zu viel Wasser verbraucht, dann habe ich ein handfestes Problem. Ich muss mich dann mit dem Risiko auseinandersetzen, dass dieser Zulieferer irgendwann ausfällt. Zugleich habe ich aber auch die Chance, dieses Risiko vor Ort aktiv zu managen, indem ich zum Beispiel die Produktion auf weniger wasserintensive Prozesse umstelle und so die Umwelt schone.

    Gründerin Anna Alex (Outfittery, Planetly) hilft Unternehmen mit ihrem neuen Start-up Nala Earth, die Biodiversität zu schonen.

    Naturschutz sollte aus Sicht von Anna Alex selbstverständlicher Bestandteil des Risikomanagements von Unternehmen sein.

    Es ist also vor allem der pro-aktive Umgang mit Geschäftsrisiken, der Unternehmen motivieren sollte, sich für die Natur zu engagieren?
    Anna Alex: Ich sehe drei Motivationen: Zum Ersten sind Unternehmen wie erwähnt schlicht verpflichtet, sich um das Thema zu kümmern. Zum Zweiten müssen sie Risiken in ihren Lieferketten managen. Dabei kann es um den Ausfall von Zulieferern gehen, aber auch um Reputationsrisiken: Wenn zum Beispiel bekannt wird, dass ein Lebensmittelhersteller Regenwaldbäume abholzen lässt, um Palmölplantagen anzulegen, dann ist der Effekt auf seinen Absatz fatal.

    Und zum Dritten?
    Anna Alex: ... haben die Vorreiter unter den Unternehmen wie immer einen Wettbewerbsvorteil. Wer schon heute ein gutes Biodiversitätsmanagement betreibt, der kann damit im Marketing arbeiten. Er kann seine Ziele und Selbstverpflichtungen für die Natur nach außen kommunizieren und mit konkreten Ergebnissen und Erfolgen belegen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Imagezugewinn. Es verschafft dem Unternehmen aber auch strukturell einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern, die das Thema verschlafen haben und sich erst neu dafür aufstellen müssen.

    Wie können solche Selbstverpflichtungen von Unternehmen aussehen?
    Anna Alex: Ein schönes Beispiel ist der Konsumgüterkonzern L'Oréal, der im Jahr 2030 in seinen Lieferketten nicht mehr Landfläche beanspruchen will als 2019. Und das, obwohl L'Oréal in dieser Zeit natürlich wachsen will. Es soll also effizienter auf der Fläche gearbeitet werden, damit der Natur mehr Fläche zur Verfügung steht, auf der sie ihre Ökosystemleistungen erbringen kann.

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    Es ist wie bei allen anderen Megathemen auch: Die guten Unternehmen raffen es früher, andere brauchen länger

    Anna Alex, Gründerin von Nala Earth

    Ist der Konzern damit eine Ausnahme oder hast du das Gefühl, dass wirklich Schwung in das Thema kommt?
    Anna Alex: Es werden immer mehr Unternehmen, die sich damit beschäftigen, beispielsweise in der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD). Das ist eine Initiative, die Empfehlungen zum Umgang mit naturbezogenen Risiken erarbeitet hat. Darin haben sich mehr als 300 Unternehmen aus unterschiedlichsten Bereichen zusammengeschlossen, vom Zementkonzern Holcim über den Uhrenhersteller Breitling bis hin zum Energiekonzern Ørsted [das Unternehmen, das auch die Plattform EnergieWinde finanziert, Anm. d. Red.]. Es ist wie bei allen anderen Megathemen auch, sei es Digitalisierung oder KI: Die guten Unternehmen raffen es früher, andere brauchen länger.

    Letztere werden nun durch CSRD gezwungen, sich ebenfalls damit auseinanderzusetzen. An der Richtlinie gibt es allerdings viel Kritik, weil sie einen hohen bürokratischen Aufwand mit sich bringe. Wie beurteilst du das?
    Anna Alex: Im Detail sind natürlich immer Verbesserungen möglich, aber es ist gut, dass es die Richtlinie gibt. Wir brauchen die Regulierung, weil leider viel zu viele Unternehmen ansonsten die Ökosystemleistungen der Natur nicht zum Teil ihrer Kalkulation machen würden. Alle sind auf diese Dienstleistungen angewiesen, aber da sie vermeintlich kostenlos von der Natur zu haben sind, tauchen sie in den Businessplänen nicht auf. Im Grunde muss die Regulierung sogar noch strikter werden. Vermutlich ist es am Ende wie bei der DSGVO: Zuerst haben alle darüber gestöhnt, aber als es dann so weit war und Strafen drohten, hatten alle ihren Datenschutz im Griff.

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    Geht unbedingt zur Wahl und macht auch bei euren Freunden und Familien Werbung dafür!

    Anna Alex, Gründerin von Nala Earth

    Könnte die Entwicklung nicht eher in die Gegenrichtung gehen? Was ist, wenn etwa bei der Europawahl im Juni Rechtspopulisten triumphieren und die Regulierung zugunsten unbeschränkter Märkte zurückdrehen?
    Anna Alex: Die Gefahr ist natürlich da. Ich glaube, die meisten Menschen wissen gar nicht, wie wichtig die Mehrheiten in Europa gerade auch für den Natur- und Klimaschutz sind. Deshalb kann ich nur an alle appellieren, denen diese Themen am Herzen liegen: Geht unbedingt zur Wahl und macht auch bei euren Freunden und Familien Werbung dafür!

    Wie arbeitet ihr bei Nala ganz konkret, um Unternehmen beim Naturschutz zu helfen?
    Anna Alex: Unsere Mission ist „to bring nature into the board rooms“: Wir machen die Natur zu einem Thema für den Vorstand, sprich: Wir sorgen dafür, dass sie businessrelevant wird. Dazu haben wir ein Tool entwickelt, mit dem wir den Einfluss von Unternehmen auf Natur und Biodiversität quantifizieren können. Was wir im ersten Schritt dazu brauchen, sind Standortdaten der Unternehmen, aber auch ihrer Zulieferer.

    Und wenn ein Unternehmen gar nicht weiß, woher seine Zulieferprodukte stammen?
    Anna Alex: Mit einer gewissen Datenunschärfe können wir umgehen, aber grundsätzlich sollten die Unternehmen natürlich wissen, ob sie beispielsweise ihren Stahl aus Indien oder aus Deutschland beziehen. Unabhängig vom Thema Biodiversität liegt das ohnehin in ihrem Interesse: Sie müssen wissen, wo sie einkaufen, um ihre Risiken zu kennen.

    Angenommen, die Daten liegen vor. Wie geht ihr dann weiter vor?
    Anna Alex: Wir berechnen auf dieser Basis, wie es der Natur an diesen Standorten geht, welchen Einfluss die Unternehmen darauf haben und welche Abhängigkeiten von Naturdienstleistungen bestehen. Wir können dann die Standorte priorisieren und den Unternehmen sagen: Von euren 200 Standorten weltweit sind dies die zehn, an denen ihr als Erstes handeln müsst, weil sie zum Beispiel in einer besonders gefährdeten Natur liegen oder die einen besonders schädlichen Einfluss darauf haben. Das ist das erste Modul, das wir bei Nala gerade entwickelt haben und mit dem Babynahrungshersteller Hipp erproben.

    Auf welcher Datenbasis beurteilt ihr den Naturzustand jeweils vor Ort?
    Anna Alex: Wir nutzen dazu mehr als 50 wissenschaftliche Datenbanken. Da fließen zum Beispiel Satellitendaten zur Entwaldung ein, Daten zu gefährdeten Arten oder zum Wasserstress in einzelnen Regionen. Einer unserer Partner ist die  Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, die mit ihrem Crowther Lab und dem sogenannten Seed-Index den vermutlich akkuratesten Indikator zu dem Thema entwickelt hat, das es überhaupt gibt. Aus all diesen Daten ergibt sich ein sehr präzises Bild. Natürlich beziehen wir auch die jeweiligen Nachhaltigkeitsbeauftragten vor Ort ein, sofern das Unternehmen welche hat.

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    Einige begnügen sich mit einem Bienenvolk auf dem Dach der Firmenzentrale. Das grenzt dann schon an Greenwashing

    Anna Alex, Gründerin von Nala Earth

    Und im nächsten Schritt verkauft ihr euren Kunden dann Projekte, um die Artenvielfalt vor Ort zu schützen?
    Anna Alex: Nein, das tun wir nicht. Unsere Stärke liegt in der Software und der Beratung. Die konkrete Umsetzung liegt in der Hand der Unternehmen. Wir betonen aber, dass insbesondere in der Lieferkette im globalen Süden ein Riesenpotenzial steckt. Es genügt eben nicht, ein paar Bienen auf dem Firmengelände zu halten und zu denken, jetzt sei alles gut. Zum einen haben wir genügend Honigbienen – in Gefahr sind die Wildbienen. Zum anderen müssen wir in wirklich großen Skalen denken, wenn wir den Verlust an Biodiversität stoppen wollen. Leider haben das einige noch nicht erkannt. Sie begnügen sich mit einem Bienenvolk auf dem Dach der Firmenzentrale. Was die Unternehmen damit tun, grenzt dann aber schon an Greenwashing. Oder besser, an Beewashing, wie Jan Böhmermann es genannt hat.

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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